Wehret den Anfängen – Kinder- und Jugendschutz im Verein
Der VfL Pfullingen arbeitet an einem Präventions- und Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt
(BW) Staufen im Breisgau, Regensburg in Bayern und Remseck am Neckar, diese Namen haben in den letzten Jahren traurige Berühmtheit erlangt, sie alle stehen als Beispiel für sexuellen Missbrauch an Kindern. In Staufen waren es die eigenen Eltern, in Regensburg gab es den Missbrauch bei den Domspatzen und in Remseck war es der Fußballtrainer, der sich an kleinen Jungen vergangen hatte.
In den meisten Fällen geht das Leiden der Kinder über viele Jahre. Denn: „Die Statistik zeigt, dass Kinder im Schnitt 8 Erwachsene ansprechen müssen, bevor ihnen geholfen wird“ so Marc Louia, Leiter von Projekt N.E.I.N.. Seit 5 Jahren leitet er die Pfullinger Gewaltpräventionsschule, die sowohl Kurse und Seminare in Vereinen, Behörden, Institutionen und Schulen durchführt, als auch Eltern, Lehrkräfte sowie ErzieherInnen schult, auf jegliche Anzeichen von Gewalt gegen Kinder zu achten und zu reagieren.
Derzeit arbeitet er gemeinsam mit dem VfL Pfullingen an einem Präventions- und Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt im Verein.
Abschreckung potenzieller Täter
Seit der Einführung des Bundeskinderschutzgesetzes im Jahre 2012 sind laut § 72a SGB VIII unter anderem auch Vereine, die Kinder- und Jugendarbeit betreiben, dazu angehalten, Vereinbarungen mit den Kreisjugendämtern abzuschließen, die den Schutz von Kinder und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt gewährleisten.
Diese Vereinbarung, so Sven Schauenburg, VfL Vorstand, soll nach Fertigstellung des Konzeptes baldmöglichst mit dem Jugendamt abgeschlossen werden. Außerdem, so Schauenburg habe der Vorstand bereits im vergangenen Jahr in einer Sitzung mit Marc Louia alle Abteilungsleiter darüber informiert, dass ein Präventions- und Schutzkonzept gemeinsam ausgearbeitet werden soll. „Als Sportverein sind wir eine interessante Zielscheibe“, betont VfL Geschäftsführer Tobias Stoll, deshalb sei dem Verein ein solches Konzept enorm wichtig. Und auch Marc Louia bestätigt: „Sich eine Betätigung in einem Sportverein zu suchen, ist eine klassische Täterstrategie. Man geht dorthin, wo man von möglichst vielen potentiellen Opfern umgeben ist.“
In einem ersten Schritt müssen nun bis Oktober 2019 alle Trainer, die im VfL mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Das sind immerhin rund 130 TrainerInnnen. Durch die Vorlage des erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses, auch bei Neueinstellungen, zeigt der Verein eine klare Haltung, nach dem Motto: Bei uns haben potenzielle Täter keine Chance! Es ist vor allem eine Abschreckungsmaßnahme, denn schließlich, so Schauenburg, werde ein Täter, dann wohl auch kein Zeugnis vorlegen und von selbst einsehen, dass er beim VfL keinen Trainerposten bekommt.
Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt
Ein Präventions- und Schutzkonzept hilft allen Beteiligten in einem Verein: den Trainern, den Eltern und den Kindern.
Ein wesentlicher Bestandteil des Konzeptes sind beispielsweise auch regelmäßige Schulungen zum Thema sexualisierte Gewalt für alle Personen, die im Kinder- und Jugendbereich arbeiten. Hier lernen sie die wesentlichen Rechtsgrundlagen, klassische Täterstrategien, Anzeichen sexualisierter Gewalt und vor allem das korrekte Vorgehen bei Verdachtsfällen kennen. „Diese Schulungen sollen den Mitarbeitern nicht nur Wissen in diesem sensiblen Bereich vermitteln, sondern vor allem Handlungssicherheit geben“, so Schauenburg.
„Natürlich vermittele ich bei diesen Schulungen auch wesentliche Grundsätze zum eigenen Verhalten“ sagt Marc Louia. „Bestimmte Verhaltensweisen, die das Risiko von Missbrauch erhöhen, muss man genau betrachten und ausschließen“. So hat beispielsweise das Trainerpersonal nicht gemeinsam mit Kindern zu duschen oder bei Freizeiten/Turnieren in einem Raum zu übernachten. Auch das Beschenken einzelner Kinder oder das Einladen dieser in private Bereiche ist tabu. „Bitte nicht falsch verstehen“, so Louia. „Das Einladen der ganzen Mannschaft zum Grillnachmittag beim Trainer ist überhaupt kein Problem, aber sobald einzelne Kinder herausgezogen werden, bekommt es ein „Geschmäckle“, und das wollen wir im Verein nicht haben.“
Andererseits gibt es aber im Verein auch sehr körperbetonte Sportarten, bei denen Hilfestellungen oder Haltegriffe, wie beispielsweise beim Turnen oder beim Judo, normal sind und in Ordnung sein müssen. Hier ein vernünftiges Maß zu finden ist für alle Beteiligten wichtig.
Die Eltern andererseits sollen in regelmäßigen Informationsabenden über das Konzept informiert werden und im engen Austausch soll ihnen vermittelt werden, dass die Kinder im Verein gut aufgehoben sind.
Und schließlich müssen auch die Kinder entsprechend sensibilisiert werden. Sie sollen wissen, dass sie auch „nein“ sagen dürfen, dass ihr Körper ihnen gehört und dass sie sich im Ernstfall an eine bestimmte Vertrauensperson im Verein wenden können.
Bettina Hennig ist Schutzbeauftragte im VfL
Diese Schutzbeauftragte und Vertrauensperson für alle Beteiligten wird künftig Bettina Hennig sein. Sie ist bestens im Verein vernetzt und arbeitet derzeit gemeinsam mit Marc Louia und Tobias Stoll das Konzept aus. Sie wird künftig die erweiterten Führungszeugnisse der Trainer einsehen und dokumentieren, sie ist Ansprechpartnerin für alle Vereinsmitglieder, Eltern und Kinder und sie wird, sollte je ein Verdacht im Raum stehen, entsprechende Maßnahmen einleiten.
Doch auch dann, betont Marc Louia ist das Wichtigste Ruhe zu bewahren, denn mit überhasteten Anschuldigungen oder gar einer vorschnellen Anzeige ist niemandem geholfen. „Nicht die Tatsache, dass es im eigenen Verein zu Übergriffen kommen kann, diskreditiert diesen, sondern allenfalls ein unprofessioneller Umgang damit“, so betont Louia. Bettina Hennig ist daher künftig die zentrale Vertrauensperson im Verein, sollte es um Verdachtsmomente, Übergriffe oder Anschuldigungen gehen. Kinder, aber auch Eltern und TrainerInnen/ÜbungsleiterInnen können sich an Bettina Hennig wenden, wenn sie ein ungutes Gefühl oder Verdachtsmomente haben in Bezug auf sexuelle Übergriffe.
Schutzkonzept für Vereine Infoveranstaltung vom Sportkreis Reutlingen am 24. Juni
Mit der Ausarbeitung des Präventions- und Schutzkonzeptes gegen sexualisierte Gewalt im Verein ist der VfL Pfullingen Vorreiter in der Region. Klar ist jedoch, dass alle Vereine, die mit Kindern zu tun haben, verpflichtet sind ein solches Konzept und eine entsprechende Vereinbarung mit dem Kreisjugendamt abzuschließen. Dies ist im Bundeskinderschutzgesetz von 2012 so festgelegt.
Was diese Vereinbarung beinhaltet, welchen Zweck die Einsichtnahme in ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis verfolgt, aus welchen Bausteinen ein Präventions- und Schutzkonzept besteht und warum ein Verein dieses erstellen soll, wird in einer Informationsveranstaltung am 24. Juni um 19.00 Uhr im Vortragsraum des H3 in Eningen Thema sein.
Die Veranstaltung ist vom Sportkreis Reutlingen organisiert. Gerlinde Kohl vom Kreisjugendamt wird an diesem Abend über die rechtlichen Hintergründe informieren. Marc Louia, der Leiter der Gewaltpräventionsschule „Projekt N.E.I.N.“ zeigt, welche Bausteine ein solches Konzept beinhaltet und wie es umgesetzt werden kann.
Nähere Infos / Beratungen zu Präventions- und Schutzkonzepten erhalten Sie bei Marc Louia: info@nein-pfullingen.de