Was macht eigentlich…ein Archivar?
Das alte verhutzelte und weltabgewandte Männlein, das in verstaubten Büchern blättert, sucht man vergeblich im Pfullinger Archiv. Stadtarchivar Stefan Spiller sitzt am PC in seinem Büro im ersten Stock der Pfullinger Stadtbücherei und sieht so gar nicht nach verstaubtem Klischee aus. Muss er auch nicht. Schließlich hat der Beruf des Archivars viel mehr zu bieten als verstaubte Kelleransichten.
Zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Als erster hauptamtlicher Archivar Pfullingens ist Stefan Spiller nun seit fünfzehn Jahren in der Echazstadt tätig. Die Leidenschaft für Archive entdeckte Spiller bei Praktika während seines Studiums der Geschichte und Germanistik und so folgte im Anschluss ans Studium eine Ausbildung für den gehobenen Archivdienst. Doppelt qualifiziert führte ihn sein Weg in der Folge über das Kreisarchiv Reutlingen nach Pfullingen. Ein typischer Tagesablauf des Archivars startet mit der tagesaktuellen Presseauswertung in digitaler Form. Seit 2013 filtert Spiller auf diese Weise wichtige Nachrichten, die Pfullingen betreffen und erfasst diese elektronisch. Diese Arbeit ist die Grundlage für die Abfassung des Jahresrückblicks und zugleich stadtgeschichtliche Dokumentation für morgen. Denn die Gegenwart ist die Vergangenheit der Zukunft. Anschließend können Erschließungsarbeiten von übernommenen Unterlagen oder die Beantwortung historischer Anfragen auf der Tagesordnung stehen. Erste Hinweise zu Fragen von Bürgern oder Kollegen finden sich in einem Datenbankprogramm. In diesem sind mehrere tausend Archivalien erfasst, die wiederum alle eine eindeutig zuordenbare Signatur haben. Zur weiteren Recherche geht es dann doch zumeist in den Keller, in das Archivmagazin im UG der Stadtbücherei.
Wer will`s wissen?
Anfragen an den Archivar stellen sowohl Privatpersonen als auch Kollegen aus den Rathäusern. Wann wurde das Haus gebaut, in dem ich lebe? Wann sind meine Ahnen nach Pfullingen gekommen? Wie hieß die verstorbene Frau des Ururgroßvaters? Bei allen Anfragen achtet Spiller darauf, dass die geltenden Schutzfristen eingehalten werden. Oft geben historische Adressbücher erste Anhaltspunkte, wenn es um Personen oder Gebäude geht. Anhand der Steuerbücher kann zum Beispiel die Eigentümerfolge von Gebäuden teilweise bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Auch bei Fragen des Denkmalschutzes können alte Unterlagen helfen. Das Interessante und Spannende bei den Nachforschungen sind für den Archivar die persönlichen Schicksale, die sichtbar werden. Aus einer Nachfrage ist beispielsweise ein Buch über die Pfullinger „Euthanasie“-Opfer entstanden. Auch Kriege, Hungersnöte und Kindersterblichkeit spiegeln sich in den persönlichen Schicksalen wider. Die Vergangenheit wird so erleb- und begreifbar. Manchmal sind die Anfragen aber auch amtlicher Art. Wenn beispielsweise eine Erbfolge geklärt werden muss, Jahrzehnte alte Verträge gesucht werden oder ein städtisches Gebäude mit Denkmaleigenschaft neue Fenster braucht, die möglichst nahe am historischen Originalzustand sein sollen.
Alter Krempel oder wertvolle Überlieferung?
Im Archiv-Magazin lagern die historischen Schätze, die sich im Lauf der Zeit angesammelt haben. Natürlich landet nicht alles, was alt ist, automatisch dort. Eine wichtige Aufgabe des Archivars ist es, zu sichten, auszusortieren und zu entscheiden, was archivwürdig ist. Übersichtlich sortiert und gekennzeichnet werden die als relevant eingeschätzten Schriftstücke, Bilder und anderen Objekte im Magazin unter optimalen konservatorischen Bedingungen aufbewahrt. Zu finden sind städtische Unterlagen, Nachlässe von Firmen und Privatpersonen. Auch der ehemalige Bürgermeisterstuhl hat seinen Platz im Regal gefunden. Vor fünfzehn Jahren sah es hier anders aus, erinnert sich Spiller. Der Archivraum wurde gerne auch als Abstellraum genutzt, die Schriftgutablagen der einzelnen Ämter waren am Überquellen. Sichten und Sortieren war erst einmal angesagt. Das Anliegen des Archivars ist es, der Überlieferung Struktur zu geben, damit sie auch genutzt werden kann. Bei der Sichtung von Unterlagen kommt dann doch auch mal der Staub der Geschichte heraus. Etwa, wenn diese lange unbeachtet auf einem Speicher lagen. Aber eben nicht nur Staub, sondern auch die ein oder andere Perle, betont Spiller, wenn Unterlagen zum Beispiel neue Erkenntnisse über Vergangenes liefern. Aktuell bekommt Spiller viel Material aus den Pfullinger Rathäusern, denn im Zuge der personellen und räumlichen Umstrukturierungen wurde viel ausgemistet.
Die Frage nach dem Sinn der Aufbewahrung von alten Dokumenten werde in Zeiten der Digitalisierung immer häufiger gestellt, berichtet Spiller. Warum nicht einfach alles digitalisieren? Solche Forderungen sieht Spiller eher kritisch. Zum einen sei die Nutzungsfrequenz vieler Bestände nicht so hoch, um den Aufwand einer durchgehenden Digitalisierung zu rechtfertigen. Zum anderen sei das Archiv der Ort, um mit authentischen Quellen zu arbeiten. Geschichte zum Anfassen eben.