Vergessene Berufe: Handwerkskunst, Erfindergeist, Forscherdrang
Sonderausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum vom 05. Mai bis 27. Oktober
(SH/WP) Unsere Kultur lebt von der Vielfalt dessen, was wir Menschen selbst gestalten. Jeder Beruf war (und ist) ein einzigartiges Ergebnis handwerklicher, künstlerischer, schöpferischer, wissenschaftlicher Tätigkeit. Von den ersten Anfängen eines bestimmten Handwerks bis heute bzw. bis zum Zeitpunkt, als die technische Entwicklung diesen Beruf überflüssig machte, lagen vielfach hunderte von Jahren.
Ob Müller, Seiler, Schuhmacher, Messerschmied, Leinenweber, Kesselflicker, Turmuhrenbauer, Glaser oder Glasmaler, Bürstenmacher, Buchbinder und nicht zuletzt Wasserwiesenmeister, unsere Vorfahren haben ein Leben lang Tätigkeiten beherrscht, von denen wir teilweise nichts oder nur noch wenig wissen.
Sonderausstellung als Brücke zur Museumsneukonzeption
Die von Mitgliedern des Geschichtsvereins Pfullingen ehrenamtlich erstellte Sonderausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum Schlössle spürt den genannten Berufen nach, und zeigt, wieviel Erfindergeist und Forscherdrang nötig war, die Gewerke und deren Produkte zu höchst möglicher Qualität zu führen. Die Sonderausstellung 2019 ruft auch in Erinnerung, dass etliche der ausgestellten Berufe Teil der Dauerausstellung in der seit 2017 still gelegten Museumsscheuer sind. Diese Ausstellung will eine Brücke sein, bis zur Umsetzung der bereits geplanten Museumsneukonzeption. Diese Konzeption kann im Sonderausstellungsraum eingesehen werden. Ein Raum im Museum ist 2018 beispielhaft vom Geschichtsverein Pfullingen in vollständiger Eigenfinanzierung eingerichtet worden.
Jahrhundertealte Ingenieurtechnik,
Weltmarktführer und vergessene Handwerkskunst
In jeder Stadt und in jedem Dorf gab und gibt es eine Vielfalt beruflicher Tätigkeiten. In Pfullingen treffen wir auf Berufe, die allgemein weit verbreitet waren und noch sind, wenn auch heute in völlig anderer technischer Ausprägung wie noch vor fünfzig Jahren. Wir stoßen auf Berufsbilder und Handwerkskünste, die sehr speziell auf Pfullinger Gegebenheiten zugeschnitten waren. Dazu zählte z.B. der Beruf des Wasserwiesenmeisters. Demgegenüber steht der Wasserbauingenieur, der für die spezifischen Bedingungen eines jeden Gewässers in der Lage war, Mühlräder oder Turbinen zu bauen. Diese Ingenieurtechnik ist seit dem frühen Mittelalter bekannt und entwickelte sich stetig weiter. In Pfullingen existierten über die Jahrhunderte über 30 Mühlenstandorte, jeder mit eigenem Einzelantrieb.
Fast jeder Gegenstand, den wir heute benutzen, wird industriell hergestellt, viele Dinge werden heute aus Kunststoff produziert, werden zu Wegwerfartikeln. Das war bis vor drei Generationen noch ganz anders. Manche Handwerkswerkskunst ist ganz aktuell am „Verschwinden“: die Auflösung der Schuhmacher-Innung zum Jahresende 2019 ist kennzeichnend für diesen Wandel. Die Ausstellung stellt diesen elementaren Handwerksberuf vor, und zeigt mit welchem Aufwand einst maßgeschneiderte Schuhe für Jedermann hergestellt wurden.
Eine Voraussetzung für gutes Schuhwerk war das Vorhandensein von Leder. Das zuständige Handwerk wurde von den Gerbern ausgeübt. Auch in diesem Beruf gab und gibt es revolutionierende Erfindungen und grundlegende Veränderungen. Vorreiter und Weltmarktführer gab es bereits im 19. Jahrhundert in Pfullingen und gibt es heute.
Das Echaztal war bekannt für die Textilindustrie. Doch bevor die Industrialisierung einsetze, gab es bereits über viele Jahrhunderte die großräumige Herstellung von Leinengarn bzw. Flachs auf der nahen Alb. Es waren die Leinenweber, die noch im Jahr 1837 mit 41 Meistern in Pfullingen vertreten waren. 30 Jahre später waren sie bereits durch die industrielle Garn- und Stoffproduktion verdrängt worden.
Turmuhren und originale Wasserfallen
Neben den weit verbreiteten Berufen gab und gibt es in Pfullingen Berufe, die einen sehr hohen Spezialisierungsgrad aufweisen. Dazu zählt die Walz Uhren GmbH. Der schwäbische Tüftler Ludwig Walz gründete im Jahr 1874 eine Holzdreherei, in der er auch Uhren aller Art reparierte. In der Turmuhren-Branche arbeitet die Firma heute in der fünften Generation.
Die Ausstellung zeigt noch mehr: Glasmalerkunst der Firma Künstner, gegründet 1925 in Pfullingen von Otto Künstner, das Seilerhandwerk, sowie die Arbeit und Handwerk der Wasserwiesenbewirtschaftung in Pfullingen. Für die Ausstellung des Geschichtsvereins wird exklusiv eine „Wasserfalle“ entsprechend einer Bauanleitung aus dem Pfullinger Stadtarchiv hergestellt. So können Bauweise und Funktionsweise dieses einzigartigen und bis in die frühen 1960er Jahre funktionierenden Bewässerungs-systems der Pfullinger Echazwiesen studiert werden.
Fotografien aus den Jahrhunderten aus dem Archiv von Steffen Burgemeister sind essenzieller Teil der Ausstellung. Wichtige Informationen und Daten liefert das Stadtarchiv, zusammengestellt von Stadtarchivar Stefan Spiller. Eine Bereicherung sind Gemälde der Pfullinger Künstler Ernst Eiting und Karl Raiser zu einzelnen Themen.
Vernissage am 3. Mai
Die Vernissage der Ausstellung erfolgt im Rahmen der Eröffnung der Museumssaison am Freitag, den 3. Mai 2019 um 18 Uhr in der Mühlenstube. Die Sonderausstellung ist jeweils sonn- und feiertags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Das Begleitprogramm zur Ausstellung umfasst mehrere Führungen und Veranstaltungen die jeweils am Museum enden:
Diese sind am 19.05., 28.07., 13.10. Treffpunkt ist jeweils um 13.30 am Marktbrunnen. Am Dienstag, den 24.09. findet im Kutscherhaus (Samariterstift) in der Hohmorgenstr. 9 um 18.30 Uhr ein Vortrag mit Bildern zum Thema „Pfullinger Lebensbilder“ mit Prof. Waltraud Pustal statt.