Mittendrin: Anna Kletetschka organisiert die Turn-Weltmeisterschaft in Stuttgart
(SH) Kunstturnen, eine der beliebtesten Sportarten in den USA, ist in Deutschland eher eine Randsportart. Nicht so im Schwäbischen: die Region rund um Stuttgart hat mehrere Leistungszentren, einen Olympia-Stützpunkt und ist mit vielen Vereinen in den obersten Turnligen vertreten. Immer wieder schaffen es auch Turnerinnen und Turner aus der Echaz-Region in die Kaderteams der Landeshauptstadt.
„Schwaben-Chefin“ aus Leidenschaft
Seit einiger Zeit ist unsere Region auch auf sportpolitischer Ebene vertreten: Die Pfullingerin Anna Kletetschka ist unter anderem als Fachgebietsvorsitzende im Bereich Gerätturnen und Landeskampfrichterwartin ehrenamtlich in der Verbandsarbeit aktiv. Kletetschka ist zuständig für den Inhalt und die Bewertung aller Turnübungen vom Breiten- bis zum Spitzensport. 82 Wettkämpfe pro Jahr unterliegen ihrer Planung, ebenso die Aus- und Weiterbildung von 350 Kampfrichterinnen. Innerhalb des Turnverbandes wird sie deshalb auch „die Schwaben-Chefin“ genannt.
Das Mutter-Kind-Turnen war der Einstieg
Groß geworden ist sie in der Pfullinger Turnhalle, hat für ihren Heimatverein in der Landesliga geturnt und später mit Metzingen in der Oberliga. Die erste Stufe der Kampfrichterausbildung absolvierte sie 2009. Ihr Talent wurde vom Deutschen Turnerbund schnell erkannt und so ging es steil bergauf. Die Kampfrichterprüfungen werden von Stufe zu Stufe schwieriger, die Konkurrenz untereinander größer und nur Wenige unter den Besten werden für die Prüfung zur Internationalen Lizenz berufen. Diese absolvierte Kletetschka 2017 mit Bravour. Seither ist sie in ganz Europa unterwegs, um die turnende Weltspitze zu bewerten. Dabei ist es nicht der Ehrgeiz, der sie antreibt, sondern die Freude an der Sportart Turnen. Obwohl Kletetschka eine beispiellose Karriere als Kampfrichterin hingelegt hat und inzwischen bundesweit als Expertin gefragt ist, ist sie bodenständig geblieben und bleibt ihrem Heimatverein verbunden. In Pfullingen steht sie deshalb noch regelmäßig als Trainerin in der Turnhalle. Für ihren Erfolg hat sie eine einfache Erklärung: „Ich bin die einzige Kampfrichterin im Spitzenbereich, die aus dem Breitensport Turnen kommt. Ich habe einfach eine andere Einstellung zur Sache. Ich sitze immer mit Stolz am Kampfrichtertisch, egal ob als Experte in der Bundesliga oder als Assistenz bei einem regionalen Wettkampf.“
Weltstar Simone Biles kommt zur WM
In diesem Jahr steht ein ganz besonderes sportliches Highlight und für Anna Kletetschka eine spannende Herausforderung an: vom 3.-14. Oktober findet in Stuttgart die Turn-Weltmeisterschaft statt. 80 Nationen mit insgesamt 500 Teilnehmern sind vertreten. Da gibt es für den Deutschen Turnerbund und speziell für die Schwaben-Chefin einiges zu organisieren. Kletetschka ist verantwortlich für das Kampfrichter- und Trainingsmanagement. Sie organisiert die Unterbringung der Wertungsrichter, kümmert sich um den zeitlichen Ablauf und sämtliches Material, das die Kampfrichter benötigen. Bereits 2 Wochen vor Beginn der Meisterschaft reisen die TurnerInnen an und wollen natürlich trainieren. Damit hier alles gerecht und nach Vorschrift des Weltverbandes vor sich geht, schreibt Kletetschka die Pläne für 4 Trainingshallen, kümmert sich um Akkreditierungen und Sicherheitspersonal und ist außerdem dafür zuständig, dass die passenden Turngeräte und Matten zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Natürlich hat Kletetschka ein ehrenamtliches Team, das sie unterstützt, die Verantwortung liegt aber allein bei ihr. Für die Weltmeisterschaft wird sie ihren gesamten Jahresurlaub nehmen. Das sei aber kein Problem: „Turnen ist meine Leidenschaft und mein Leben“ betont sie. Bei aller Arbeit kommt auch die Vorfreude nicht zu kurz. „Simone Biles kommt!“, freut sich Kletetschka. Die derzeit weltbeste Turnerin ist ein echter Publikumsmagnet.
Ich bin Workaholic und Hobbyholic
Auch wenn nicht gerade eine Weltmeisterschaft ansteht, ist Kletetschka für ihr Ehrenamt jedes Wochenende deutschland- und europaweit unterwegs. Das alles bewältigt sie zusätzlich zu ihrer Vollzeit-Arbeitsstelle. Nach ihrer Ausbildung als Verwaltungsfachangestellte bei der Stadt Pfullingen hat es die 31jährige nach Stuttgart verschlagen, wo sie inzwischen auf dem Ordnungsamt als Teamleiterin im gehobenen Dienst arbeitet. Nebenbei gibt sie Schulungen auf der Verwaltungs- und Polizeihochschule. Hin und wieder ist sie auch nachts im Einsatz: als Mitglied der Kontrollgruppe Tuning entscheidet sie welche Autos bei Kontrollen beschlagnahmt werden. Das alles unter einen Hut zu bekommen ist nicht immer leicht. Ohne die Unterstützung ihres Freundes und ihrer Familie ginge das nicht, dessen ist sich die Pfullingerin bewusst. „Eigentlich müsste ich schon längst ein Burnout haben“, lacht die junge Frau. „Aber mir macht das alles großen Spaß, dann geht das auch.“
Das Kultusministerium fördert
School in motion
Soviel Turnbegeisterung ist ansteckend. Um „ihre“ Sportart auch für das Publikum attraktiver zu machen, hat sie eine neue Wettkampfform erfunden, die sie gemeinsam mit dem Olympiazweiten Marcel Nguyen und der mehrfachen deutschen Meisterin Kim Bui bei einem Weltcup präsentierte. Die Resonanz bei den Turnern war so positiv, dass Kletetschka eine abgewandelte Form dieses Teamwettkampfes für den Turnunterricht an Schulen entwickelte.
Das Ergebnis heißt „school in motion“ und wird schon bald im Auftrag des Kultusministeriums als Handreichung für Lehrer erscheinen. An den Schulen des Landes wird also demnächst nach Pfullinger Anleitung geturnt.