Die Menschen hinter den Zahlen – Zwei junge Erwachsene berichten über ihre Erfahrung mit dem Virus
(SH) Tagtäglich überrollt uns eine Flut an Corona-Zahlen. Die Zahl der Neuinfektionen bundes-, landes-, und Landkreisweit, die Zahl der Verstorbenen, die Zahl der Genesenen, die Zahl der Geimpften und nicht zuletzt der alles bestimmende Inzidenzwert. Bei der Routine gewordenen Analyse der Zahlenwerte wird oft vergessen, dass hinter jeder einzelnen Zahl ein Mensch steckt.
Das wird uns erst dann wieder bewusst, wenn wir selbst oder Personen aus unserem nahen Umfeld betroffen sind. Wir haben mit einigen dieser Menschen hinter den Zahlen gesprochen und sie gefragt, wie es ihnen während und nach ihrer Corona-Infektion ergangen ist. Zum Schutz der Privatsphäre haben wir die Namen geändert.
Wenn der Apfel wie eine Zitrone schmeckt
Nico ist 22 Jahre alt, gesund und zählt nicht zur Risikogruppe als er sich im Herbst 2020 mit dem Virus ansteckt. Im Rahmen des damals Erlaubten ist er mit drei weiteren Personen als Zuschauer bei einer Sportveranstaltung. Kurz darauf hat eine Person aus dieser Gruppe Halskratzen und lässt sich testen. Während diese auf das Ergebnis wartet, bekommt auch Nico Erkältungssymptome und wird ebenfalls getestet. Beide sind positiv. Die Kontaktperson hat auch weiterhin nur leichte Erkältungssymptome, Nico hingegen ist erschöpft, schläft zwei Wochen am Stück, kann vor Gliederschmerzen die Finger kaum bewegen und leidet an Geschmacksverlust: alles schmeckt sauer oder bitter. Natürlich sind alle Kontaktpersonen in Quarantäne. Bei Nico kontrolliert das Gesundheitsamt täglich per Anruf, ob er sich auch an die Quarantäne hält. Verständlich, aber auch nervend, findet Nico dies. Denn er fühlt sich so krank, dass er sowieso nicht aus dem Haus käme, die Kontrollanrufe strengen ihn nur noch mehr an. Zu schaffen machen ihm nicht nur die körperlichen Symptome, sondern auch die Hilflosigkeit der Mediziner. Der Hausarzt teilt ihm mit, mehr als Symptome lindern sei medizinisch nicht möglich. Da wird Nico bewusst, wie prekär die eigene Situation ist. Angst macht ihm auch, andere angesteckt zu haben. Nico macht eine Ausbildung und war im Schulunterricht, als die Symptome auftraten. Zum Glück haben sich weder in der Klasse noch in der Familie weitere Personen angesteckt. Nach drei Wochen geht Nico wieder in den Ausbildungsbetrieb, merkt aber schnell, dass da was nicht in Ordnung ist. Erschöpfung und Müdigkeit begleiten ihn noch mehrere Monate, an Sport ist nicht zu denken und das Kurzzeitgedächtnis ist nahezu null. Nico kann sich nichts merken und macht sich erneut Sorgen: was, wenn das bleibt? Eine Blutuntersuchung beim Hausarzt, eine Analyse durch den Heilpraktiker und eine weitere Untersuchung in der Tübinger Klinik folgen, anschließend nimmt er über mehrere Wochen Vitamin-Präparate ein. Nach einem halben Jahr fühlt sich Nico endlich wieder so normal wie vor der Infektion. Die Erfahrung, als junger Mensch für sechs Monate nicht leistungsfähig zu sein, hat ihn nachdenklich gestimmt und er macht sich nun mehr Sorgen um die Zukunft. Wenigstens einen positiven Effekt hatte die Erkrankung jedoch: beim Blutspenden in Tübingen wird Nico darauf aufmerksam gemacht, dass er per Plasmaspende Antikörper an Intensivpatienten spenden kann, was er umgehend tut.
Erholsamer Winterschlaf
Paul ist 20 Jahre alt und trifft sich im Winter 2020 coronakonform mit einem Freund. Zwei Tage später bekommt der Freund Erkältungssymptome und erfährt gleichzeitig, dass eine andere Kontaktperson positiv getestet wurde. Er gibt Paul umgehend Bescheid. Paul selbst geht es gut, vorsorglich macht aber auch er einen Test, der zum Glück negativ ausfällt. Der Freund wartet zu diesem Zeitpunkt noch immer auf sein Testergebnis. Einen Tag später bekommt Paul Halskratzen. Was tun? Der Test ist negativ, vielleicht bildet er sich das Kratzen im Hals nur ein oder es hat andere Ursachen? Paul ruft vorsichtshalber nochmals beim Arzt an und wird erneut getestet. Dieses Mal fällt das Ergebnis positiv aus. Zeitgleich bekommt auch endlich der einige Tage zuvor getestete Freund den positiven Befund. Paul hat also Corona und bleibt zuhause. Die Quarantäne verbringt er in einer abgetrennten Wohnung im elterlichen Haus. Der Vater trägt trotz der räumlichen Trennung Maske, zur Mutter, die ihn versorgt, hat er näheren Kontakt. Überraschend deshalb für alle: der Vater steckt sich an, die Mutter nicht. Sowohl beim Vater, als auch bei Paul verläuft die Krankheit zum Glück mild und ohne Komplikationen. Paul hat Kopfschmerzen, ist müde und schläft vier Tage lang. Rückblickend empfindet er diese Zeit als sehr erholsam. Die Infektion ist nun schon einige Monate her und bisher haben weder Paul noch sein Vater Spätfolgen. Seine persönliche Einstellung zu Corona hat sich durch die eigene Erkrankung nicht geändert, impfen lassen will er sich auf jeden Fall, auch wenn er durch die Infektion schon Antikörper hat.
Auch wenn bei beiden jungen Männern die Infektion völlig verschieden verlaufen ist, haben sie doch eines gemeinsam: den Unmut darüber, dass die junge Generation oft als Party feiernde Pandemie-Treiber dargestellt wird.