Höhlenforschung: Dem Echaz-Großhöhlensystem auf der Spur
(SH) Wenn acht Männer an einem heißen Sommertag in Ganzkörperanzug und Gummistiefel, mit Helm und Stirnlampe auf dem Kopf voller Tatendrang durch bauchhohe Brennnessel Richtung Berghang stapfen, bewaffnet mit Hammer, Meisel, Eimer und Drahtseil, kann das nur eins bedeuten: sie sind krank – unheilbar krank. Höhlenvirus lautet die Diagnose. Das Leitsymptom dieser Erscheinung ist leicht auszumachen: großes Interesse an der Entdeckung und Erforschung unterirdischer Hohlräume. Angesichts der geologischen Gegebenheiten auf und am Fuße der Schwäbischen Alb, ist es nicht verwunderlich, dass der sogenannte Höhlenvirus in unserer Region verbreitet vorzufinden ist.
Forscherdrang trifft Naturschutz
Die „infizierten“ Höhlenforscher sind organisiert in Vereinen: die „Höhlenforschungsgruppe Pfullingen e.V.“ entstand vor 30 Jahren aus einer Interessensgemeinschaft von Lichtensteiner und Pfullinger Höhlenforschern und hat heute über 50 Mitglieder. Der Verein arbeitet eng zusammen mit der „Arbeitsgemeinschaft Höhle und Karst Grabenstetten e.V.“, die seit 1973 besteht und 170 Mitglieder zählt. Eine der Hauptaufgaben des Pfullinger Vereins ist die Dokumentation und Erforschung von über 80 Höhlen im Kreis Reutlingen. Die geologischen, hydrologischen und biologischen Beschaffenheiten einer Höhle werden untersucht, Höhlenpläne angefertigt und stetig neue unterirdische Hohlräume gesucht. Die Ergebnisse dieser Forschungen werden an Behörden und Institute weitergeleitet und teilweise in Fachzeitschriften publiziert. Im Bewusstsein darüber, dass jeder Besuch einer Höhle ein Eingriff in deren empfindliches Ökosystem ist, gehen die Vereinsmitglieder bei der Erforschung einer Höhle immer sehr vorsichtig vor. Besonders wichtig ist ihnen deshalb auch die Einhaltung der Fledermausschutzzeit.
Durch Selbststudium zu Experten
Auch wenn keinerlei Fahrzeuge für das Vordringen in eine Höhle genutzt werden, spricht man korrekterweise vom Befahren einer Höhle. Nimmt man es ganz genau, müsste es wohl eher Bekrabbeln heißen. Häufig kommen die Höhlenforscher nur durch schmale Öffnungen und Wasser befüllte Gänge vorwärts. Wer Platzangst hat oder kälteempfindlich ist, ist hier definitiv fehl am Platz. Es braucht schon eine gehörige Portion Mut und Knowhow für die Befahrung einer Höhle, die nicht, wie die Bären- oder Nebelhöhle, mit Treppenstufen und Geländern nachgerüstet ist. Die Risiken durch Unterkühlung, Sturzgefahr oder Hochwasser sind nicht zu unterschätzen, deshalb legt der Pfullinger Höhlenverein großen Wert auf eine umfassende Ausbildung, die schon an Jugendliche vermittelt wird.
Das Wissen über Höhlen und deren Befahrung haben sich die Vereinsmitglieder über viele Jahre hinweg selbst angeeignet. Die Hobby-Forscher stehen in ständigem Austausch mit anderen Höhlengruppen und haben einige Mathematiker, Physiker und Geologen in den eigenen Reihen, die bei der wissenschaftlichen Aufbereitung der gesammelten Daten helfen. Inzwischen kommen auch technische Hilfsmittel zum Einsatz, um beispielsweise den Kohlendioxidgehalt der Luft in den Höhlen über längere Zeit aufzeichnen zu können.
Die Föhnerquelle in Honau birgt Geheimnisse
Ebensolche Daten sammelt die Gruppe momentan bei ihrem neuesten Projekt: die Suchgrabung an der Föhnerquelle in Honau. Hinter dem Wanderparkplatz unweit der Echazquelle befindet sich ein zunächst unscheinbares Loch, aus dem gelegentlich Wasser austritt: die Föhnerquelle. Frank Schüler, Vorsitzender der Höhlenforschungsgruppe Pfullingen e.V., beobachtet die Föhnerquelle seit rund 40 Jahren, so lange ist er nach eigener Aussage schon mit dem Höhlenvirus infiziert. 2008 stellte er zum ersten Mal erfolglos einen Grabungsantrag bei den Behörden. 2015 versuchte er gemeinsam mit der Arge Grabenstetten erneut sein Glück und erhielt alle erforderlichen Genehmigungen. „Die Behörden haben erkannt, dass das hier keine Abenteuer-Lausbuben-Aktion ist, sondern dass wir ernsthafte wissenschaftliche Arbeit betreiben“, erklärt Schüler. Seither geht es rund an der Quelle: die Höhlenforschungsgruppe hat sich bereits 40 Meter tief in den Hangschutt hinter der Quelle vorgegraben. Warum das Ganze? Die Forscher vermuten eine größere Höhle, die sich irgendwo hinter der Quelle befindet.
Viele Hinweise auf eine große Höhle
Diese Vermutungen gründen auf verschiedenen Beobachtungen. Die Föhnerquelle ist eine periodische Quelle, da sie nur zeitweise Wasser ausschüttet. Im Sommer bläst eiskalte Luft aus der Quellöffnung, im Winter wird die draußen wärmere Luft in den Berg hinein gesaugt. Dies ist ein Indiz dafür, dass sich im Berg Hohlräume mit mindestens einer oberen Öffnung befinden. Außerdem haben am sogenannten „Aufberger Loch“ Färbeversuche mit Wasser stattgefunden. Das Aufberger Loch ist eine riesige Doline am Kalkofen mit circa 40 Meter Durchmesser und 17 Meter Tiefe. Das dort gefärbte Wasser ist zur Föhnerquelle abgelaufen. Um die potentielle Höhle zu finden, wird ein Such-stollen hinter dem Quellaustritt gegraben. Dieser Suchstollen wird bis auf den gewachsenen Fels in den Berg getrieben, in der Hoffnung, dort auf die offene Quellspalte zu treffen. Die Quelle selbst wird hierbei nicht verändert. Der Hangschutt wird durch den Verbau von Stahlprofilen stabilisiert. Diese Leitplankentechnik wurde schon bei Grabungen am Blautopf angewandt. Die Grabung selbst bedeutet harte körperliche Arbeit. Um diese zu erleichtern wurde inzwischen eine Transportbahn angebracht, mit der der Schutt eimerweise aus dem Stollen transportiert wird und außerhalb dann 70 Meter am Drahtseil den Hang hinab saust zum bereitstehenden Container.
Ein Sinterstein macht Mut
Bei der Grabung müssen laufend Entscheidungen getroffen werden, da sich die Sachlage und die Bedingungen stündlich ändern können. Deshalb ist teamfähigkeit für alle, die beim Graben helfen oberstes Gebot. „Immer dem Luftzug nach“ lautete die Devise zu Beginn der Grabung. Zwischendurch entschied man, besser dem Wasser zu folgen, bis dieses dann aus mehreren Richtungen floss, vermutlich weil ein großer Felsblock den Weg versperrte. Also wieder dem Luftzug nach geradewegs auf den Felshang zu. Nicht nur bergbauspezifisches Wissen ist gefragt, sondern auch Geduld. Wie lange es noch dauert, bis die Höhlengräber auf das weiße Jura Beta Gestein treffen und dort hoffentlich auf einen Höhlenzugang, weiß keiner. Vielleicht ein paar Wochen, vielleicht auch ein paar Jahre. Mut zum Weitergraben macht ein besonderer Fund: Nach einem Hochwasser hatte es große Steinbrocken in den gegrabenen Gang gespült, darunter auch eine Sinterplatte. Dies ist ein Wand-Tropfstein, der nur in einer Höhle entstanden sein kann.
Über den aktuellen Stand der Grabung kann man sich jederzeit an einer Info-Tafel am Wanderparkplatz in Honau informieren. Das Team freut sich auch über aktive Mithilfe, aber Vorsicht: der Höhlenvirus ist äußerst ansteckend!
www.hfgp.de www.arge-grabenstetten.de