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Wie wird Kunst der Geschichte gerecht? Pro und Contra zur Stele für den Frauenwiderstand

Über Kunst lässt sich trefflich streiten, das war schon immer so und wird sich auch nie ändern. Schließlich sind Geschmäcker verschieden und es gibt immer ein Für und Wider in Bezug auf das künstlerische Objekt. So nun auch aktuell beim Thema Gedenkstele in Erinnerung an den Frauenwiderstand in Pfullingen im April 1945. Sie soll auf dem neugestalteten Marktplatz errichtet werden.

Aktuell läuft allerdings eine Unterschriftenaktion bei der Stimmen gegen den vorgeschlagenen Entwurf gesammelt werden. Angestoßen wurde die Aktion von der Pfullingerin Ellen Junger.

Wo sind ihre Kritikpunkte? Und wie argumentiert die Stadtverwaltung? Wir haben Pro und Contra gegenübergestellt.

 

Contra: Stellungnahme von Ellen Junger

Es ist sehr erfreulich, dass der Pfullinger Gemeinderat einen Entwurf für das Denkmal zum Pfullinger Frauenaufstand erarbeitet hat. Jedoch ist der aktuelle Entwurf keine zufriedenstellende Lösung. Es ergeben sich folgende drei Kritikpunkte:

  1. Aktuell werden keine Namen auf der geplanten Stele genannt. Dabei sollte Sofie Schlegel unbedingt namentlich erwähnt werden. Die Aufarbeitung dieser Geschichte in den letzten Jahren – und auch Zeitzeugen bestätigen dies heute noch – zeigt ganz klar, dass Sofie Schlegel es war, die im symbolischen weißen Kleid mit Verhandlungsgeschick die Stadt Pfullingen vor weiterer Zerstörung bewahrt hat. Ohne speziell ihren Einsatz wären wahrscheinlich die so beliebten Fachwerk-Rathäuser, auf die nun alle so stolz sind, beschädigt oder zerstört worden. Außerdem wäre die Einnahme der Stadt durch die Franzosen wohl nicht ohne Tote abgelaufen. Auch Luise Walker als Anführerin des Aufstandes vor dem Rathaus sollte erwähnt werden.
  1. Die Schrift ist voraussichtlich nicht barrierefrei: Da sie auf der 2,05 Meter hohen Platte recht weit oben steht, kann sie von Menschen im Rollstuhl und Kindern wahrscheinlich nicht oder nur sehr schwer gelesen werden. Eine etwas niedrigere Schrift und der Text zusätzlich in Blindenschrift würde mehr Menschen erreichen.
  1. Die Idee, die Panzersperren als grafisches Element zu verwenden ist sehr fragwürdig. Warum sollen auf der Stele die von den Männern errichteten und verteidigten Barrikaden gezeigt werden? Es sollte bei dem Denkmal doch um den Mut, das erfolgreiche Aufbegehren und die Durchsetzungskraft der Frauen gehen und nicht um die faschistische, fanatische Haltung der Volkssturmführung, welche die Barrikaden zu verantworten hatte. Damit geben wir den Männern, die auf der falschen Seite standen, mehr Bildfläche als den Frauen, die weiteres Leid von den Pfullingerinnen und Pfullingern abgewendet haben.

Diese Kritik macht deutlich, dass das geplante Denkmal dieses besondere historische Ereignis, das viele Menschen auch außerhalb der Pfullinger Stadtgrenzen berührt und interessiert, nicht angemessen und zeitgemäß würdigt.

Deshalb fordern wir eine grundlegende Überarbeitung des Denkmal-Entwurfs zum Pfullinger Frauenaufstand!

 

Pro: Stellungnahme der Stadt Pfullingen

Die Stele als Denkmal zur Erinnerung an den „Pfullinger Frauenaufstand“ im Jahr 1945 dient nicht nur der Würdigung des herausragenden Verdienstes der Pfullinger Frauen um den Schutz ihrer Stadt, sondern regt gleichzeitig mittels ihrer interaktiven Elemente – dem QR-Code und der dahinter stehenden Onlineplattform – auf eine Art zur Debatte über die historischen Ereignisse an, wie es auf einem fixen Denkmal allein gar nicht möglich wäre.

Frau Junger nennt in ihrer Petition drei Kritikpunkte. Darauf einzugehen, verlangt in erster Linie, aus der Arbeit der AG zu berichten, die ins Leben gerufen wurde, um sich mit einer würdigen Form des Erinnerns zu befassen und sich anhand der einschlägigen Quellen eingehend mit der Thematik der Widerstandshandlungen der Pfullinger Frauen in den letzten Kriegstagen auseinandergesetzt hat.

2020 riefen die Berichterstattung zum 75. Jahrestag des Kriegsendes in der Region wie auch insbesondere das SWR-Dokudrama „Unbekannte Helden“ das Thema „Frauenaufstand“ ins öffentliche Bewusstsein. Auf Impulse aus der Bevölkerung und dem Gemeinderat gründete sich daraufhin im Mai 2020 die genannte Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern aller Gemeinderatsfraktionen und dem Stadtarchivar Stefan Spiller. Die Runde aus vier Frauen und zwei Männern traf sich bis November 2021 insgesamt achtmal. Unter Berichterstattung in der Presse wurden die Arbeit und Entwürfe im Pfullinger Verwaltungsausschuss vorgestellt, die Umsetzung der Stele in der vorliegenden Entwurfsfassung genehmigt und ein hiesiger Betrieb mit der bereits laufenden Produktion beauftragt.

Unter Berücksichtigung der problematischen Quellensituation waren sich die AG-Mitglieder einig, dass nur ein kollektives Erinnern an das Aufbegehren der Pfullinger Frauen ohne Nennung einzelner Personen sinnvoll ist. Mit der Formulierung „In dankbarer Erinnerung an das mutige Aufbegehren zahlreicher Pfullinger Frauen am 20., 21. und 22. April 1945“ werden alle beteiligten Protestierenden gleichermaßen geehrt – ohne jemandes Rolle fälschlicherweise herauszulösen oder gar jemanden zu vergessen.

Die Überlegung, einzelne Frauen namentlich hervorzuheben, wurde auch in der AG umfassend diskutiert. Weil die Ereignisse allerdings einen komplexen Sachverhalt mit zahlreichen beteiligten Frauen an unterschiedlichen Schauplätzen und einem längeren zeitlichen Ablauf darstellen, haben die AG-Mitglieder bewusst darauf verzichtet. Hinzu kommt, dass einem solchem Aufbegehren eben keine eingehende Planung, politische Intention oder die Initiative Einzelner zugrunde lag. Vielmehr begründet sich seine Bedeutung in der großen Anzahl der Beteiligten.

Allerdings wurde – zusätzlich zum Text auf der Stele selbst – die Hinterlegung von Hintergrundinformationen, die mittels QR-Code abrufbar sein werden, als wesentlicher Bestandteil des Erinnerungsprojekts vereinbart. Das hält die Stele als Erinnerungsstätte aktuell und lebendig, wenn auch das Denkmal an sich unverändert bleibt. Darüber hinaus ist es eine Einladung etwa an Schulklassen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und ihre eigenen Beiträge und Perspektiven beizusteuern.

Die AG hat sich gemeinsam mit einem Grafiker eingehend mit der Gestaltung der Stele befasst und den Entwurf mehrmals angepasst. Sie zeigt nun drei „X“ in drei Reihen als Symbol für Panzersperren und gleichsam das NS-System, die durch das Handeln der Frauen an drei Tagen überwunden werden – augenfällig durch ein fallendes „X“, das das feste Gefüge auflöst. Dies ist ein starkes Symbol, das gerade von der Kraft der Widerstandshandlungen der Pfullinger Frauen gegenüber einem bis in die letzten Stunden seines Bestehens existenziell bedrohlichen System zeugt. Die „X“ feiern in keinerlei Weise die Panzersperren oder deren Erbauer, sondern vielmehr das erfolgreiche Aufbegehren gegen sie.

Auch mit der Zugänglichkeit des Denkmals haben sich die Mitglieder der AG beschäftigt: Der Standort der Stele, ihre Größendimensionen und die Lesbarkeit der Schrift wurden anhand eines Vor-Ort-Termins im Februar 2021 unter Beisein von Vertretern der Stadtverwaltung diskutiert und festgelegt. Die Schrift und ihre Platzierung ist Teil der künstlerischen Gestaltung der Stele und damit essentiell für den Aussagegehalt des Erinnerungs-Mals, das über eine bloße Informationstafel deutlich hinausgehen soll. Auch hier spielt die digitale Erweiterung des Denkmals mittels des QR-Codes eine wichtige Rolle. Sie ermöglicht uns, Informationen in einer barrierefreien Form zur Verfügung zu stellen. (Grafik: Christoph Dohse)

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